Both Eyes in My Two Hands



11/09/2020 - 14/11/2020


Zilberman | Berlin freut sich, die Ausstellung Both Eyes in My Two Hands der in Deutschland und Mexiko lebenden Künstlerin Sandra del Pilar anzukündigen. Die Eröffnung findet am 10. September um 18 Uhr statt und die Pressevorschau um 11 Uhr.

Der Ausstellungstitel Both Eyes in My Two Hands ist einem Sonett der mexikanischen Dichterin Sor Juana Inés de la Cruz (1648-95) entnommen: „tengo en entrambas manos ambos ojos / y solamente lo que toco veo” (“ich halte in beiden Händen meine zwei Augen/ und sehe nur das, was ich berühre“). Das Sonett hinterfragt, ob Wirklichkeit mit den Augen geschaut und dem Verstand erfasst werden kann, oder ob nicht beides traumartige Illusion ist. Sollte man sich der Welt nicht mit den anderen Sinnen, wie den tastenden Händen, nähern?

Eben das sind auch die Fragen, mit denen sich Sandra del Pilar in ihrer Malerei auseinandersetzt. Wie stellt sich das Bild zur Wirklichkeit? Ist es ein visuelles oder ein leibliches Phänomen? Welche Rolle spielen die Unschärfen von Erinnerung, Traum und Vergessen, denen unser Körper (mehr als unser Auge) nachspürt?

Sandra del Pilar beschäftigt sich in ihren Gemälden mit Ereignissen, denen sie im Alltag oder in den Medien begegnet, oft sind es Geschichten von Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Sie untersucht Täter-Opfer- Beziehungen, Handlungen von Gewalt im privaten und öffentlichen Bereich, drakonischen Strafen der Drogenkartelle in Mexiko (Giganten – I, 2020), erinnert an die Vermissten und Vergessenen. In traumartig- irreal wirkenden Sequenzen lässt Sandra del Pilar Gegenwärtiges auf Historisches, Privates auf Politisches, individuelles auf kollektives Gedächtnis, Reales auf Fiktives treffen. In ihren Gemälden verbinden sich Gedanken- und Gefühlswelten verschiedener geistesgeschichtlicher Traditionen: Lyrische Texte, Motive aus dem Barock (vanitas, memento mori), der griechischen Mythologie oder Figuren aus der Bibel (Johannes der Täufer), Metaphern und Allegorien werden über Zeiten und Räume hinweg miteinander verwoben.

Den Gemälden gehen oft lange Recherchen voraus, Sandra del Pilar führt Interviews mit Menschen, mit Opfern sowie Tätern, z.B. Gefängnisinsassen. Sie versetzt sich in die Perspektiven der anderen und verwendet in ihren Darstellungen ihr eigenes Antlitz in Stellvertretung für andere, die anonym bleiben wollen, zugleich ist sie sich ihrer eigenen Parteilichkeit bewusst, sie mischt sich ein. Die Gesichter der vermissten Kinder in der Arbeit Olvido (2014), deren Abbildungen die Künstlerin in Cuernavaca in Mexiko auf Aushängen im öffentlichen Raum begegnete, malte sie aus dem Gedächtnis. Sie überzieht ihre Darstellungen mit einer Wachsschicht, womit die Gesichter wie verblassende Erinnerungen einerseits entrückt, zugleich aber konserviert werden. In ihrer Anordnung ergeben die dreißig Bildtafeln den Schriftzug ,Olvido‘, übersetzt: ‚das Vergessen’ oder ‚ich vergesse’. Der Schriftzug ruft die vermissten Kinder jedoch gerade ins Gedächtnis zurück. Sandra del Pilars Ansatz erhebt einen ethischen Anspruch, als wolle sie mit ihren Bildern Gerechtigkeit herstellen, den Opfern von Gewalt ihre Würde zurückgeben.

Betrachterstandpunkt, von dem man einen Überblick gewinnen könnte, sondern im Gegenteil, die Darstellung wird instabil. Die Bildschichten verschieben sich gegeneinander, der Betrachter ist physisch mit dem Bild verstrickt. Die Korrespondenz zwischen allen Schichten führt über jede einzelne hinaus und aktiviert auch den taktilen Sinn. Der Blick des Betrachters wird auf die materiale Oberfläche gelenkt, er tastet sie mit dem Blick ab, bevor er in die illusionistische Tiefe des Bildes zu tauchen versucht. Damit stellt Sandra del Pilar ein somatisch-phänomenologisches Verhältnis des Betrachters zum Gemälde her. Bedeutung wird nicht mehr nur referentiell generiert, stattdessen sind die Signifikanten in ihrer leiblichen Materialität selbst bedeutungstragend.

Both Eyes in My Two Hands spannt einen Bogen von Olvido über Wer bin ich und wieviel? bis hin zu Sandra del Pilars installativen Arbeiten, darunter Almost a butterfly (2020). In einen alten Schrank sind eine bemalte Leinwand und mehrere Schichten bemalter Transparentfaser eingehängt, die den Eindruck eines Kokons erwecken, in dem sich etwas mehr sinnlich Ahnbares als deutlich Sichtbares entwickelt. Die Leinwand, die dünnen Stoffschichten sind schützende Hülle. Adressiert wird das leibliche Verwobensein mit der Natur, der Prozess der Entstehung zwischen Vergangenheit und Zukunft, Motiv der Hoffnung.

Text: Lotte Laub


Sandra del Pilar (*1973, Mexiko-Stadt), wuchs in Mexiko und Deutschland auf, verbringt heute jeweils die Hälfte des Jahres in Soest (Deutschland) und in Cuernavaca (Mexiko). Sie schloss ihr Studium der Malerei an der Academia de San Carlos in Mexiko-Stadt ab, promovierte in Kunstgeschichte an der Heinrich-Heine- Universität Düsseldorf und im Fach Malerei an der Fakultät für Kunst und Design der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM). Derzeit ist sie Stipendiatin des Sistema Nacional de Creadores de Arte des Fondo Nacional de la Cultura y las Artes (FONCA) in Mexiko. Del Pilar war Stipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes und des DAAD, außerdem erhielt sie Fördermittel vom Landschaftsverband Rheinland (LVR). Ihr künstlerisches Werk wurde sowohl in Mexiko als auch in Deutschland mehrfach ausgezeichnet. Ihre Werke wurden weltweit ausgestellt. Zuletzt wurde ein Dokumentarfilm von Sergio Sanjinés über ihre künstlerische Arbeit in der Cineteca Nacional in Mexiko- Stadt uraufgeführt. Ihre Texte und Essays wurden in internationalen Zeitschriften, Anthologien, Katalogen und Zeitungen veröffentlicht.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an berlin@zilbermangallery.com.

 


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