one one two one two three



22/02/2022 - 23/04/2022


Zilberman | Berlin freut sich, die Soloausstellung one one to one two three von Zeynep Kayan anzukündigen.

Zeynep Kayans Soloausstellung one one two one two three versammelt Videos sowie Stills, die einzeln sowie in Reihungen präsentiert sind. Die Künstlerin hat sich im Laufe der Jahre oft auf Tanzchoreografien bezogen, zum Beispiel die Performance Accumulation von Trisha Brown, die die Choreografin wie folgt beschreibt: „Eine einfache Geste wird gezeigt. Diese Geste wird wiederholt, bis sie vollständig in mein kinästhetisches System integriert ist. Dann wird Geste Nr. 2 hinzugefügt. Geste Nr. 1 und Nr. 2 werden wiederholt, bis sie assimiliert sind, dann wird Geste Nr. 3 hinzugefügt. Ich füge weiterhin Gesten hinzu, bis mein System keine weiteren Ergänzungen mehr unterstützen kann.“ Diesem Rhythmus von Wiederholung und Variation entspricht der Titel dieser Ausstellung: one one two one two three.

Deutlich wird dieses Prinzip an der Arbeit mirror I, die als Einführung in die Ausstellung fungiert. Ein Video zeigt eine Figur mit dunkel verschattetem Gesicht – es ist die Künstlerin selbst – auf einem Stuhl sitzend, aus frontaler Sicht, und seitlich hinter ihr die gleiche Projektion noch einmal – wie in einer mise en abyme. Wir blicken auf die Figur in der vorderen Projektion, die auf den akustischen Impuls des Stuhlrückens hinter sich reagiert und ebenfalls den Stuhl nach hinten rückt. Die Bewegung der hinteren Figur wird von der vorderen Figur zeitversetzt imitiert. Es ist ein stetes Zurückweichen und reaktives Aufholen der Distanz. Repetition spielt in den Arbeiten von Zeynep Kayan eine zentrale Rolle, bzw. wie es Mika Hannula im Gespräch mit der Künstlerin beobachtet hat: „repeating forwards“, „repeating as opening something up“.

Im ersten Raum blicken wir frontal auf diese Projektion. Wir gehen auf das Video zu, zugleich rücken beide Personen in einem akustischen Dialog zurück, als würden sie vor dem Betrachter zurückweichen, aus der Ausstellung hinaus. Das erste Video ist wie der Taktgeber für die Ausstellung, eine Bewegung, die in den Raum hinein zieht und über ihn hinaus weist. Als Betrachter sehen wir aber auch, dass der Raum in dem Video hinter der Figur begrenzt ist. Das Zurückweichen bleibt vergeblich, bzw. Kayan spricht selbst davon: wir wollen zurückweichen, aber doch nicht zu weit. Zurückweichen, Platz schaffen, den Raum öffnen, aber auch Konfrontation herbeiführen – das führt in die Thematik dieser Ausstellung. Es wird eine Klammer geöffnet und im letzten Raum, wo ein Video die Künstlerin hinter der Kamera zeigt, wird die Klammer geschlossen; aber auch hier führt die Blickrichtung aus den Räumen hinaus, bzw. auf uns Betrachter zu: wir selbst werden zum Gegenstand ihrer Betrachtung.

Die Videos können spielerisch sein, es sind reduzierte und alltägliche Gesten und Geräusche, die verwendet werden, wie drücken, greifen, klopfen, dabei ist ihnen oft ein selbstreflexiver Modus eigen. Aufgrund der jeweiligen Ausschnitte entsteht eine Spannung zwischen Gesichtetem und Erwartetem, beobachteter Bewegung und Fortsetzung in der Vorstellung. Durch frontale Kameraperspektiven kommt es zur Nivellierung der Raumtiefe, aber der Ton erzeugt wiederum Raumillusion.

Kayans Ausgangsmaterial sind Bewegtbilder. Videos und daraus entwickelte Videostills bestehen manchmal nebeneinander, manchmal bleiben aber auch nur die Videostills übrig. Kayan unterzieht sie einer weiteren Bearbeitung, sie sind vom Computerbildschirm abfotografiert oder über einen alten Drucker ausgedruckt und anschließend wieder eingescannt. Dies führt zu einer reduzierten Räumlichkeit und rückt die materiale Oberflächenbeschaffenheit und Haptik in den Vordergrund. Die Lesbarkeit der gedruckten Motive wird erschwert, sie bewegen sich zwischen Figuration und Abstraktion.

Drei vom Bildschirm abfotografierte Videostills, schwarzweiß, zeigen die verschiedene Momente einer Bewegung: auf einer Wand sind geschlängelte schwarze Fäden zu sehen, deren Anordnung sich von Bild zu Bild ein wenig ändert. Die in Seitenansicht dargestellte Person – die Künstlerin selbst – deckt mit ihrem rechten ausgestreckten Arm den unteren Teil des Fadenbildes ab. In den anderen zwei Bildern ist der rechte Arm nicht mehr sichtbar, Oberkörper und Kopf der Person sind immer weiter nach links zurückgezogen, während nun die linke Hand zunehmend in das Bild hineinragt. Dabei zeigt sich, dass die oberen Enden der Fäden auf der Wand befestigt, die unteren Enden um die Finger der linken Hand der Künstlerin gewickelt sind. Durch Bewegung der Hand kann so das Fadenbild verändert werden. Nicht sichtbar ist, ob auch an der rechten Hand Fäden befestigt sind. In dem Fall würde das Fadenbild vom Hin und Her der Arme rhythmisch, und doch mit kleinen Variationen verändert werden. Die Künstlerin lenkt das Bild, so wie in der antiken Mythologie die Parzen den Lebensfaden spinnen, was den Betroffenen unsichtbar bleibt. Hier ist dem Betrachter durch die Begrenzung des Bildausschnitts die Gesamtansicht der Szene verborgen. Er kann nur aus den Momentaufnahmen die Kontinuität der Bewegung rekonstruieren.

Eine andere Arbeit zeigt die Künstlerin und ihren Schatten an der Wand. Ein Kescher, der vom unteren Rand ins Bild hineinragt, ist ihr über den Kopf gestülpt. Ein Motiv wird eingefangen im wörtlichen Sinn. Das betont horizontale Format gleicht den Ausmaßen einer Kinoleinwand, und die harten Schwarz-Weiss-Kontraste und Schattenwürfe erinnern an den expressionistischen Film. So wie in dem zu Anfang beschriebenen Video die Bewegung aus dem Bild hinausdrängt, die nach hinten rückende Figur sich uns entzieht, dann aber doch ausweglos gestoppt wird durch die Rückwand, erscheint auch dieses Videostill wie ein Traumbild.

Zeynep Kayan verändert begrenztes Bewegungsmaterial systematisch und erprobt es in immer neuen Variationen, die Teil eines Bewegungsinventars sind und unterschiedliche Emotionen ausdrücken, darunter auch Frustration, die hervorgerufen wird, wenn Bewegungen zu kompliziert sind oder der Raum zu eng ist. Wiederholungen sind oft die Folge falscher Bewegungen. Scheitern kann zu Abweichungen und Improvisation führen. Bei neuen Versuchen öffnen Zufälle oft unerwartete Möglichkeiten. Ähnlich sind unsere alltäglichen Erfahrungen. Durch Wiederkennung entsteht die innere Geschlossenheit dieser Arbeiten.


Zeynep Kayan (1986, Ankara) schloss ihr Studium an der Fakultät für Kommunikation und Design der Bilkent-Universität ab und erwarb ihren MA-Abschluss in Bildender Kunst an der MaHKU, Utrecht, Niederlande. Ab September 2022 wird Zeynep Kayan Artist in Residence an der Rijksakademie van Beeldende Kunsten, Amsterdam, Niederlande, sein. Sie ist Mitbegründerin des unabhängigen Kunstraums Torun in Ankara. Ihre jüngsten Einzelausstellungen und Präsentationen sind: ZonaMoca Foto, (Mexiko, 2022); Temporary Sameness (Zilberman Gallery, Istanbul, 2019), UNSEEN Amsterdam (Amsterdam, 2019), Constructed (Zilberman Gallery, Istanbul, 2016). Kayans Arbeiten wurden in zahlreichen Gruppenausstellungen gezeigt, darunter Protocinema (Istanbul, 2021), Asian Art Museum (San Francisco, 2021), Evliyagil Museum (Ankara, 2020); Helsinki Contemporary Gallery (Helsinki, 2020); RijksOpen (Rijksakademie, Amsterdam, 2019 & Salt Galata, Istanbul, 2018); Field Meeting (New York, 2015); Rezan Has Museum (Istanbul, 2013); 1st Tbilisi Triennial (Center of Contemporary Art, Tbilisi, 2012); Istanbul Modern, Istanbul, 2011. Kayan erhielt 2017 den zweiten Preis beim Kassel Dummy Award. Ihr Fotobuch wurde anschließend von Akinabooks veröffentlicht und auf der Unseen Amsterdam 2018 vorgestellt.

Text: Lotte Laub

Begleitend zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit einem Essay von Alper Turan, einem Gespräch zwischen Mika Hannula und Zeynep Kayan sowie einer Einleitung von Lotte Laub.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an: berlin@zilbermangallery.com


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  - Zeynep Kayan

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